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bei San Marco / Sicilia






Sie bediente  in dem kleinen Restaurant in der engen Gasse in Levanto. Schon bei meinem letzten Besuch vor zwei Jahren, war ich öfters hier vorbeigegangen, hatte jedoch nie einen Platz gefunden. Nicht so dieses mal. An drei von fünf Abenden haben wir hier gegessen und ich habe mich verzaubern lassen von ihrer Anmut und ihrer Natürlichkeit.

Wie sie flink und aufmerksam zwischen den Tischen hin und her eilte, hier einen Stuhl zurechtrückte, dort die Falte einer Tischdecke glättete, mit einem Kind scherzte, eine Blume zurecht rückte oder einem Gast zulächelte, strahlte sie eine Lebendigkeit und eine Schönheit aus, wie sie mir selten begegnet war. Die Bikinischönheiten am Strand von Monterosso oder die Nackten in der einsamen Bucht vom Nachmittag bei Corniglia verblassten neben ihr zu    ausdruckslosen Modellfiguren.

Ihr zuzuschauen erfüllte mich mit einer großen Freude, aber auch mit einer stillen Traurigkeit, weil sie mir unerreichbar war, mit ihrer Jugend, ihrem Spaß an den kleinen Dingen und ihrem strahlenden Leben. Aber auch Zufriedenheit spürte ich, ihr in diesem Moment nahe sein zu können.

Später auf der Piazza waren viele Menschen bei Musik und Tanz versammelt. Wir schauten zu und freuten uns an dem bunten Treiben. Walzer, Tango, Popmusik und fröhliche Menschen. Plötzlich erschien sie, in ihrem schwarzen Servierkleid mit der kleinen weißen Schürze. In dem Moment, als sie die Tanzfläche betrat, wurden alle anderen Anwesenden zu Statisten. Sie kickte ihre Schuhe zur Seite, tanzte mit einer anderen Frau wie ein Wirbelwind über die Piazza. Ihre vorher zusammengebundenen Haare lösten sich, ihr Lachen ließ die Laternen verblassen, barfuss schwebte sie über das schmutzige Pflaster.

Schnell zwischen zwei Bedienungen und einer Rechnung, kein Ausbruch aus der Arbeit in das Leben, sondern eine Verbindung zwischen beidem, eine Selbstverständlichkeit. Sie hatte und vermittelte Spaß an beidem. Wie armselig waren dagegen die Katalogschönheiten des vergangenen Tages. Ich sah nur noch sie, alle anderen verschwanden in der Unwichtigkeit. Ich habe noch nie Walzer oder Tango getanzt, aber mit ihr hätte ich es heute Abend tun können, auf dieser Piazza zwischen all den Zuschauern. Ich wäre mit ihr davon geschwebt.

Für einen Moment stockte mir der Atem, als sie ihre Schuhe wieder anzog, auf mich zukam, jedoch nur um sich an mir vorbei zwischen den Menschen hindurch wieder von der Piazza zu entfernen, die plötzlich etwas an Helligkeit verlor. Sie eilte zurück in das Lokal zum kassieren oder bedienen. Mein Blick folgte ihr noch in die Dunkelheit zwischen den Häusern.

Es war schön, sie gesehen zu haben, wichtiger, als vieles andere, was mir in den letzten Tagen begegnet war. Sie wird mir im Gedächtnis bleiben, als Symbol für das blühende Leben und die strahlende Jugend. Ich glaube, ich bin nie so jung gewesen wie sie und nie so lebendig, aber dass sie mich so tief in meinem Innern erreicht hat, zeigt mir, dass von beidem doch noch etwas in mir vorhanden ist und von der Sehsucht, dies wieder oder endlich zum Leben zu erwecken.


(Levanto/Liguria 4.6.2000)              

(Fotos: Vernazza, Levanto - Links: Monterosso, Levanto / Liguria)



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Wenn ich an Anna denke, dann fallen mir zuerst ihre neugierigen Augen ein.

Es war Ende Mai, ein wunderschöner Frühling auf den Äolischen Inseln. Den letzten Abend vor meiner Weiterfahrt Richtung Norden verbrachte ich auf dem Campingplatz Baia Unci in Canetto. Es gab hier eine überdachte Terrasse mit Blick auf das Meer und die Inseln Panarea und Stromboli. Hier saßen viele der meist nur mit Zelten reisenden Urlauber zum Frühstück oder auch abends zum Kochen.
Ich hatte mich an einem der langen Tische ausgebreitet, mit meinem Gaskocher, Geschirr, einer Flasche Wein, einer Kerze und dem Fleisch und Gemüse, das ich am Nachmittag in Lipari eingekauft hatte.

Und während ich mit meinem großen chilenischen Messer alles klein schnitt und die einzelnen Sachen in der Pfanne mit Olivenöl anbriet, trank ich Wein, hörte die Stimmen der anderen, die mit an den Tischen saßen und schaute immer wieder hinaus auf das Meer, das langsam in der Dunkelheit verschwand.
Neben mir saß eine Gruppe von jungen Leuten, drei Buschen und zwei Mädchen, die sich immer wieder laut lachend auf deutsch unterhielten. Sie waren sicher alle noch keine zwanzig. Vor allem die jungen Männer traten mit ihrer Lautstärke hervor und gingen mir etwas auf den Geist.

Eines der beiden Mädchen, das mir schräg gegenüber am Tisch saß, beobachtete mich ständig, während ich mit meinem Essen herum hantierte. Sie beteiligte sich immer weniger an dem Gespräch der anderen. Es schien sie zu beeindrucken, wie ich ruhig und alleine für mich mein Essen zubereitete, zwischen all den schwätzenden Urlaubern auf dieser Terrasse.
„Warum schaust du so?“ fragte ich, ohne aufzusehen und ohne meine Arbeit zu unterbrechen. Ich lud mir gerade das gebratene geschnetzelte Fleisch und das Gemüse auf den Teller. Sie rückte näher zu mir und saß mir jetzt gegenüber. „Es ist interessant ihnen zuzuschauen.“ Ich hielt inne und sah sie an. Sie hatte kurze blonde dichte Locken und eben diese neugierigen Augen. „Hast du Hunger?“ Sie nickte und lachte. „Ich habe sowieso zu viel eingekauft,“ meinte ich und das war eine Einladung.

Die anderen vier schienen noch gar nicht bemerkt zu haben, dass sie sich aus der Unterhaltung ausgeklinkt hatte. Es ging wohl gerade um ein Fußballspiel, das sie sich nachher im Restaurant ansehen wollten. „Wie heißt du?“ fragte ich. „Anna,“ antwortete sie und machte sich über meine Reste her. Sie aß direkt aus der Pfanne, weil ich keinen zweiten Teller dabei hatte. Ich nannte meinen Namen und fügte hinzu: „Aber sag nicht „Sie“ zu mir.“ Anna nickte kauend.

Irgendwann waren die anderen zum Fernsehen in das Restaurant gegangen. Auf die Frage ob sie mitkomme, hatte Anna nur den Kopf geschüttelt. Die Burschen sahen mich an und gingen dann davon. Das andere Mädchen nickte Anna zu und folgte ihnen. Auch viele andere schienen das Fußballspiel sehen zu wollen, so dass es auf der Terrasse recht ruhig und leer wurde. Anna und ich saßen jetzt alleine am Tisch. Sie waren alle 18 Jahre alt und eine Clique aus einer Schule in Norddeutschland, wo sie gerade ihr Abitur gemacht hatten. Diese Reise nach Sizilien war die Belohnung. Es wäre das erste mal, dass sie so weit von zu Hause weg sei, berichtete Anna freimütig und erzählte begeistert, von dem was sie schon gesehen hatte, z.b. in Agrigento und Palermo. Einmal hatte ein alter Mann ihr eine Blume geschenkt und gesagt, sie solle sie sich ins Haar stecken. Sie hatte es getan und sich sehr darüber gefreut. Anna wollte auch von mir alles wissen, wo ich überall war, was ich erlebt hatte. Sie hörte interessiert zu, als ich vom Ätna und Stromboli erzählte. Sie wollten mit dem Schiff zurück nach Neapel, noch Pompeji ansehen und dann wieder mit dem Zug zurück nach Deutschland.

Ich merkte ihr die Begeisterung richtig an. Sie war neugierig auf das Land und die Städte, auf die Menschen und auf mich. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie trotz ihres Abiturs noch nicht viel von der Welt und vom Reisen wusste. Sie verbarg ihre Freude nicht und auch nicht ihre Unsicherheit. Sie strahlte eine durch nichts begründete Selbstsicherheit aus. Sie war so jung und so schön und so begeistert, dass ich manchmal fasziniert nachdenklich wurde. Und das merkte sie auch. „Was hast du?“ fragte sie.

„Wollen wir etwas am Strand spazieren gehen?“ fragte ich sie und sie nickte: „Oh ja, gerne.“ Der Strand von Canetto besteht aus Kieselsteinen und ist ein schmaler Streifen, der sich hinter der kleinen Straße durch die ganze Bucht zieht. Wir schlenderten eine Weile schweigend direkt am Wasser entlang. Die Steine knirschten unter unseren Füßen. Es gab ein paar Bars und kleine Restaurants entlang der Straße, aber es war ein ruhiges Dorf. Ich deutete aufs Meer in die Dunkelheit. „Manchmal kann man von hier aus das Feuer über dem Stromboli sehen.“ Ihr Blick folgte meinem Fingerzeig und sie sagte leise: „Manchmal weiß ich nicht, was mir mehr Angst macht, die Weite oder die Dunkelheit da draußen.“ Dann lachte sie wieder: „Und manchmal habe ich auch keine Angst.“ Sie hängte sich bei mir ein und lehnte sich gegen meine Schulter. Und ich habe auch manchmal Angst, aber nicht vor der Weite und der Dunkelheit, dachte ich mir und blickte auf ihren blonden Lockenkopf.

„Gehen wir weiter,“ sagte ich und Anna sah mich an: „Wie weit?“ Was war denn jetzt los? Was für ein Spiel spielte sie da mit mir, oder war das nur meine Fantasie? Ich antwortete nicht, hatte meinen Arm um ihre Schultern gelegt und die Steine knirschten unter unseren Schritten. In einer Bar die noch geöffnet hatte, tranken wir ein Glas Rotwein. Anna erzählte mir von ihrer Schule, ihren Eltern und ihrem Zuhause. Sie sprach von der Zukunft, deren Ungewissheit ihr etwas Angst machte, von ihren Plänen und den Reisen, die sie noch vor hatte. Überhaupt sprach meistens sie und ich hörte zu. Es tat so gut, dieses junge lebenslustige Mädchen im Arm zu spüren und ihr zuzuhören. Irgendwann löste sie sich von mir, zog ihre Schuhe aus und lief ein paar Schritte ins Meer. Mitternacht war vorbei und wir waren fast am Ende des Strandes angekommen, wo die Straße hinauf auf die Berge führte. Wir drehten um und gingen langsam zurück. Sie lief einige Schritte vor mir, immer noch barfuss mit den Schuhen in der Hand.

Ich sah auf ihren Rücken, ihren Körper, der sich so leicht und unbefangen bewegte und sie schien meinen Blick zu spüren, blieb stehen und drehte sich um zu mir. „Es ist schön mit dir hier zu laufen,“ sagte sie und ich nickte nur und sah sie an. Sie hängte sich wieder bei mir ein. „Warum reist du alleine?“ fragte sie. „Ich bin nicht alleine.“ Sie lachte. Es donnerte. Draußen auf dem Meer war ein Gewitter, die Blitze zuckten über der Insel Stromboli, deren Silhouette unter den Blitzen am Horizont in der Dunkelheit zu erkennen war. Das ist diese Insel, die macht die Menschen verrückt, hatte ich vor Jahren mal über die Insel Stromboli geschrieben. Es war nicht die Insel, es war Anna. Wir gingen schweigend weiter und schauten in das ferne Gewitter. Wenn es donnerte drückte sie sich etwas fester an mich. Irgendwann blieben wir stehen,  sahen uns einen Moment an und küssten uns. Sie legte ihren Kopf dann an meine Schulter und wir standen noch eine ganze Weile still und hielten uns einfach nur fest.

Irgendwann hatten wir den Campingplatz erreicht, wo inzwischen alles ruhig war. Auf dem Tisch auf der Terrasse standen noch meine Sachen vom Abendessen, die wir gemeinsam zusammen packten und zu meinem Zelt trugen. Sie ließ dann ihre Hand über meine Haare, mein Gesicht, Schulter und rechten Arm bis zu meiner Hand gleiten und wir sahen uns an.  Lange hielten wir uns an der Hand, bis sie ihre Hand zögernd, aber doch bestimmt, langsam aus meiner zog. Sie ging ein paar Schritte rückwärts davon, winkte mir noch einmal und verschwand dann in Richtung ihres Zeltes. Und mir blieben nur ihre neugierigen Augen, aber das bis zum heutigen Tag.

Am anderen Morgen packte ich meine Sachen zusammen, baute mein Zelt ab und als ich mich von Anna verabschieden wollte, war sie aber mit ihrer Freundin unterwegs. Ich kaufte eine Blume und gab sie den jungen Burschen. Sie sollten sie Anna geben und sie sollte sie sich ins Haar stecken.


(Lipari/Isole Eolie Mai 2003)                               

(alle Fotos und Links: Lipari/Canetto + Vulcano/Isole Eolie/Sicilia)



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In Paestum, südlich von Salerno, befindet sich die beste Pizzeria Italiens. Ich sitze an diesem warmen Herbstabend als einzigster Gast auf der Terrasse und schaue direkt in den Ofen, wo die Holzscheite brennen und auf den Tisch, wo die Pizza gemacht wird.
Auf der anderen Seite der schmalen Straße wird der alte Turm in der Dunkelheit mit einem warmen Licht angestrahlt.
Die meisten Leute kommen nach Paestum wegen des antiken Tempels und der zahlreichen Ausgrabungen. Ich komme wegen der Pizza.

Ein Pizzabäcker muss einen dicken Bauch haben. Gestern war hier ein junger Bursche bei der Arbeit. Der lernt noch, dachte ich mir, wie man gute Pizza macht und wie man einen dicken Bauch bekommt. Heute ist der Richtige da. Jeder Handgriff ist schnell und routiniert, schon als er sich die Schürze um den Bauch wickelt. Pizza machen ist eine Kunst. Der Pizzabäcker ist ein Künstler, der sein Handwerk hinter der Glasscheibe förmlich zelebriert. 

Er weiß mit einem Handgriff, wie groß der Klumpen Teig sein muss, den er aus der Kiste holt, lässt ihn in der Luft rotieren, bis er sich zu einem Fladen verwandelt hat. Dabei hat er den Backofen ständig im Blick. Eine Hand mit Mehl über den Tisch und den Teig, dazwischen ein Stück Holz in den Ofen. Die Beläge rieseln blitzschnell auf den Teig, aus mehreren Schüsseln gleichzeitig. Jede Bewegung geht ansatzlos in die nächste über. Jeder Handgriff ist ein Teil des Ganzen. Mit der langen Kelle schiebt er im Ofen das brennende Holz zurecht, dann die Pizza in den richtigen Abstand zum Feuer. Dann dreht er die Pizza im Ofen, holt sie rechtzeitig mit der Kelle heraus und lässt sie mit einer geschickten Drehung auf den bereitstehenden Teller gleiten.

Es ist eine Zeremonie, was er da zwischen Theke und Ofen aufführt, eine Symphonie könnte nicht überzeugender sein. Ein Karajan als Pizzabäcker. Ich könnte ihm stundenlang zuschauen. Und zwischendurch hat er noch Zeit, mit dem Handy zu telefonieren.

Das Essen der Pizza könnte fast zur Nebensache werden, wenn... ja wenn es nicht eben die beste Pizza Italiens wäre. 

 
(Paestum, Oktober 2006)

 


Paestum/Campania                       


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Das Geschäft mit der Ware Mensch


Wie verrät man seine Kultur? Das scheint mir die entscheidende Frage. Und zwar für beide Seite gleichermaßen. Die einen vergessen Ihre Kultur, indem sie aufbauen, was die anderen, wie sie glauben, erwarten. Die anderen vergessen ihre Kultur, indem sie fern der Heimat, endlich einmal "die Sau rauslassen können", oder sie vergessen, dass andere Länder eben eine andere Kultur haben, oder wenigstens irgendwann einmal hatten, und wollen alles so präsentiert bekommen, wie zu Hause. Und sie bekommen es auch. Das ist das Schlimme am Tourismus. Jeder bekommt das, was er will!

Am Beispiel meiner letzten Reise kann ich nur feststellen, dass Städte wie Taormina oder Giardini-Naxos in Sizilien nichts mehr mit Sizilien zu tun haben. Es gibt kaum mehr eine Stadt an den Küsten, die sich selbst nicht dem Tourismus geopfert hat. Diese Städte sind austauschbar, ihr Charakter ist in allen Ländern gleich. Kulissen für einen Urlaubsfilm. Auch die Darsteller sind die gleichen.
Die typischen sizilianischen Restaurants sind so, wie sie der Deutsche oder der Holländer haben will. Die Ausstattung und die Speisenkarte entspricht dem, was man von zu Hause kennt, nur die Preise sind höher. Aber bekanntlich sitzt die Geldbörse im Urlaub etwas lockerer. Man gönnt sich schließlich nur einmal im Jahr so eine Reise, da will man doch nicht auf den Cent schauen. Darauf spekulieren natürlich auch die "Verkäufer", die Hoteliers, Gastronomen oder Fremdenführer. Der Fremde, der sich für einen Gast hält, in Wirklichkeit aber nicht mehr ist, als ein kalkulierter finanzieller Ertragsbringer, muss in erster Linie einmal zahlen, dann darf er sich auch amüsieren. Und die Gastgeber, die in Wirklichkeit nicht mehr sind, als die finanziellen Ertragsempfänger, bieten das entsprechende Programm. Hierbei können sie gnadenlos Abstriche an Qualität machen, denn der gemeine Tourist nimmt es nicht so genau. Er lässt sich auch Dreck für teures Geld verkaufen, denken die "Gastgeber". Und wenn nicht und er nicht mehr wieder kommt, dann kommt ein anderer. Schließlich zählt nicht der Einzelne, sondern nur die Masse.

Dies ist der Krieg, der jedes Jahr hier, in meinem Beispiel am Mittelmeer, aber auch anderswo, stattfindet. Die Einheimischen, hier "Abzocker" genannt, haben den Winter über Zeit, sich neue Einnahmequellen auszudenken. Sie würden auch ihre Seele verkaufen, wenn ihnen jemand Geld dafür geben würde. Ihre Würde haben sie meistens sowieso schon verkauft. Die Urlauber, hier "Touris" genannt, haben ihre Würde, falls sie jemals eine besessen haben, sowieso zu Hause gelassen. Sie treten mit Vorliebe in Massen auf, denn dann können sie Ihre Macht besser zum Einsatz und ihren Verstand besser zum Abschalten bringen. So prallt in jedem Sommer eine Angriffswelle auf die Städte und Dörfer an den Küsten, doch diese haben gelernt sich zur Wehr zu setzen. Sie kontern nicht mit ihren Traditionen, sondern mit Illusionen, die sie den Touris für teures Geld als Wahrheiten verkaufen. 
Der Touri ist in den Augen der Abzocker die Kuh, die gemolken werden will. Wenn das normale Leben der Einheimischen im Frühjahr zu Ende geht, dann ist quasi "aufgerüstet". Jetzt darf der Feind kommen. Und er muss kommen! Wenn er nicht kommt, wird er mit Lügen und schönen Bildern angelockt. So sitzen die Posten zwischen den Hügeln, die Rechenmaschinen im Anschlag und warten, bis das erste Wohnmobil am Horizont sichtbar wird.

Die Bettler im Hafen von Villa San Giovanni sind die ersten, die an dein Geld wollen. Im Gegensatz zu den Abzockern sind die aber wenigstens ehrlich und sagen gleich, dass sie nur dein Geld wollen und sonst nichts.

Die Gastronomie, oder das was sich dafür hält, am besten hier "Fütterung" genannt, ist ein weites Feld für Urlaubserlebnisse und Urlaubsgeschichten, die man zu Hause erzählen kann.

Für das Coperto-Gedeck zahlt man in Lipari jetzt schon mal locker 3 Euro, früher waren das höchstens 3ooo Lira, also etwa drei Mark, was genau betrachtet für die Benutzung von schlecht gespülten Messer und Gabel und einer Papierserviette ohnehin schon üppig berechnet war. Heute also das doppelte. Dafür ist das Lokal inzwischen ein Nichtraucher-Lokal, wo sich die Gäste in den Essenpausen  in der Eingangstür drängeln, um eine Zigarette zu rauchen. Außerdem ist die Bedienung unfreundlicher und wartet gehetzt darauf, bis man seinen Platz am Trog wieder räumt. Aber wenigstens ist das Essen schlechter als früher, was das ganze Bild dann wieder abrundet.

Besonders interessant ist es, wenn im Lokal schon alle Tische für 6 bis 8 Personen gedeckt sind. Dies ist in etwas die Kalkulation, dass ein Tisch noch Gewinn abwirft. Je weniger Leute am Tisch sitzen, desto schneller müssen sie essen, sonst trägt es sich nicht. Wenn man jetzt  alleine in so ein Lokal kommt, wird man augenblicklich zum Feind des Abzockers. Der Gastronom reduziert in Gedanken sofort seinen kalkulierten Gewinn und der Kellner schaut so, während er die überflüssigen Gedecke abräumt, als wärst du dafür verantwortlich, wenn sein nächstes Monatsgehalt gekürzt wird, ganz zu schweigen vom Trinkgeld. Der kleine Ecktisch gleich zwischen Klo und Garderobe ist leider schon besetzt  und so bleibt nur noch die Frage, warum jemand alleine unterwegs ist und wenn, warum er dann auch noch was essen muss?

Einen Teil kann der Abzocker dadurch wieder gut machen, dass er das Hauptgericht gleichzeitig mit der Vorspeise serviert, das verkürzt die Essenszeit um mindestens zehn Minuten. Die Zigarette danach kann man sich sowieso sparen, siehe oben: Nichtraucherlokal.
Manchmal wird man auch schon am Eingang des Lokals das "Buona Serra" mit den Worten "We are not a Pizzeria"  ersetzt, was den psychologisch geschulten Kellner auszeichnet. 

Auf Stromboli, wo man am Hafen bei der Ankunft immer Zimmer angeboten bekommt, wird man heute als Einzelner gefragt: Gruppo? Sehe ich aus wie eine Gruppe? An Einzelnen scheint man nicht mehr interessiert zu sein, mein Zimmer kann ich mir selbst suchen und mit viel Glück finde ich auch ein inselübliches, also ein finsteres Loch, welches ich vor zwei Jahren noch für 25000 Lira bekommen habe und für das ich jetzt 25 Euro zahlen darf, also das doppelte. Dafür ist die Schranktür immer noch kaputt und das Licht im Klo auch. Unvergängliche Tradition hat eben ihren Preis.

Den Berg darf ich auch nicht mehr alleine besteigen, weil er jetzt so gefährlich ist.
Für zehn Euro, die für einen kleinen Spaziergang im großen Pulk gezahlt werden müssen, ist er dann nicht mehr so gefährlich. Und wenn doch, hat jeder einen Helm, was dem Spaziergang etwas abenteuerliches gibt. Denn schließlich wollen Mama und Papa ja zu Hause erzählen, dass sie einen richtigen Vulkan bestiegen haben. Und die Bergführer, hier auch Abzocker genannt, wissen natürlich, was sie den Touris, hier Schafe genannt, bieten müssen.

Unten am Strand sind noch die durch die große Flutwelle nach dem letzten Vulkanausbruch zerstörten Häuser, der Hausrat liegt in Trümmern im Garten. Wenn man nicht das Glück hat, zu den Abzockern zu gehören, dann hat man kaum eine Chance. Diese Häuser werden wohl verlassen bleiben. Von den zehn Euro der Bergführung landet hier sicher kein Cent. Das Hotel in der gleichen Häuserreihe ist selbstverständlich schon wieder aufgebaut und strahlt in neuem Glanz. Hier wohnen ja die Gruppos, die Schafe, die das Geld bringen müssen und auch bringen. Ein paar Tage Abenteuer und Wildnis kann man sich ja schon mal was kosten lassen.
Und so wird man bald auch für die Natur Eintritt zahlen müssen, für die Berge, das Meer, die Sonne. Die Abzocker wollen mit allem verdienen, auch mit dem, was ihnen geschenkt wurde. Auch die Freundlichkeit ist eine Frage des Preises.

Die Bevölkerung hat die normale Arbeit, z.B. beim Fischfang, in der Landwirtschaft oder im Bergwerk, hier auf den Inseln sowieso weitgehend eingestellt, seit man festgestellt hat, dass ein Touri mehr Geld einbringt, als ein Sack Mehl oder ein Kilo Fisch. Um zu Begreifen was Stolz bedeutet, müssen die Jungen in alten Büchern nachlesen, was auch wieder für beide Seiten gilt, aber sie tun es nicht.
Die Verachtung in den Augen der Einheimischen gilt weniger den Touris als der eigenen Inkonsequenz. Den Mut zur Trauer haben nur die ganz Alten auf der einen und die Daheimgebliebenen auf der anderen Seite. Die Abzocker haben ihre Verachtung gut getarnt und tragen nach außen hin Unterwürfigkeit und Herzlichkeit zur Schau.

Der Touri zeigt nach außen Humor, trägt aber die gleiche Verachtung in sich, wie die Kolonialherren es bei den einfachen Ureinwohnern schon immer getan haben.
Er sucht sich die großen Hotels, Exklaven seines Heimatlandes, in denen er geführt, manipuliert und ausgenommen wird, ohne es zu merken. So haben die unterdrückten Völker sich schon immer an ihren Eroberern gerächt.
Oder er baut  sich seine eigenen Kolonien auf dem Campingplatz:
Mir gegenüber steht eine Armada von Wohnmobilen, Fahrräder mit Einkaufkörbchen aufgeschnallt und gehäkelte Gardinen an den Fenstern.
15 nebeneinander, in drei Reihen hintereinander, ausgerichtet in Reihe und Glied. So als würden sie nur auf das Zeichen zum Angriff warten. Manche haben Holzklötzchen unter die Reifen gelegt, wie Startblöcke beim Hundertmeterlauf.

Davor Schirmchen, Stühlchen, Tischchen passend. Dickbäuchige holländische Frührentner lümmeln Zeitung lesend in den Stühlen, während ihre Frauen weiße Feinripp-Unterhosen an Leinen aufhängen, so als wären es Flaggen von weltumsegelnden Schiffen. Sie täuschen Frieden vor, oder Solidarität, oder was auch immer?
Dazwischen Deutsche in Turnhosen und Unterhemden, Sandalen und Socken, die ihre Dackel als Jagdhunde abgerichtet haben und im Grill die Kohle zu einem Scheiterhaufen aufgeschichtet haben. Natürlich haben sie alle längst Kontakt geschlossen.  Sie führen ganz sicher etwas im Schilde.
So wie Vogelschwärme auf ein unsichtbares Zeichen plötzlich alle gleichzeitig auffliegen, so werden sie vermutlich eines nachts mit ihren rollenden Gartenlauben alle gleichzeitig losfahren und mich mit samt meinem Zelt platt walzen. -  Ich muss weiter.

Was bleibt mir als Fazit, nach so einer Reise?
Ich bin kein Tourist, sondern ein Reisender. Und bevor ich irgendwann ausgestopft in der Vitrine eines Völkerkundemuseums lande, bleibe ich entweder zu Hause, oder ich reise in Länder wie Kamtschatka, im äußersten Osten Sibiriens.

Manchmal ist es auch gar nicht so wichtig, wohin man fährt, sondern wann man fährt. Im Januar ist Sizilien z.B. ein äußerst liebenswertes Land.
Und ich habe auch die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sowohl Abzocker als auch Touri als Einzelner begegnet durchaus ein netter Mensch sein kann.


(Fotos: Monterosso/Cinque Terre + Levanto/Liguria,
Foto + Links: Adria nähe Riccione + bei Ancona)



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Es ist immer die gleiche Strecke Richtung Süden. Brennero, Bolzano, Verona, Modena, Bologna, Firenze, Roma, Napoli...

Diesmal geht es nicht weiter nach Sizilien. Zwar ruft der Ätna schon länger nach mir, aber die Zeit ist zu kurz. Ich verlasse die Autobahn in Pozzuoli, nach gut 1100 Kilometern und etwa 11 Stunden. Mein Ziel sind die Campi Flegrei, die Phlegräischen Felder, was so viel heißt wie: die glühenden oder die brennenden Felder. Eine noch heute als aktiv geltende Vulkanlandschaft.

Solfatara bei Pozzuoli

„Die einige Kilometer westlich von Neapel liegenden Phlegräischen Felder sind berühmt wegen ihrer zahlreichen Krater, die diesem Gebiet das Aussehen einer Mondlandschaft verleihen,“  schreibt der leider viel zu früh verstorbene Vulkanologe Maurice_Krafft
(† 3.6.91zusammen mit seiner Ehefrau und Fotografin Katja Krafft beim Ausbruch des Vulkan Unzen in Japan). 

Wenn das eine Mondlandschaft sein soll, dann hätte Neal Armstrong niemals  den Mond betreten dürfen. Der gesamte Golf von Pozzuoli ist verbaut, wild, chaotisch und sicher zum großen Teil auch illegal, wohl aber mit erheblichen Gewinnen für die Camorra. Die Gegend südlich von Neapel, über Pompeji bis Salerno, ist mir ja schon von zahlreichen Besuchen als vollkommen verdreckt und verbaut bekannt, und jetzt weiß ich, dass ihr dieser Teil der Bucht von Neapel in nichts nachsteht. Es gibt über eine Strecke von sicher 100 Kilometer kein freies Fleckchen am Meer und vermutlich auch keine rechtzeitig geleerte Mülltonne. Wenn man im Sommer an einem der übergelaufenen Müllcontainern vorbei geht, ist es ratsam, bereits 50 Meter davor und danach den Atem anzuhalten. Ersticken muss wohl immer noch die angenehmere Todesart sein. In Torre del Greco verbrennen sie den Abfall auf dem Bürgersteig, schwarze verrußte Streifen ziehen sich an den abgeblätterten Hausfassaden empor, natürlich hängt die Wäsche oben vor den Fenstern, manchmal tatsächlich quer über die Strasse, das ist kein Klischee, und manchmal fliegt auch wirklich der Müll aus dem Fenster.

Am 29.9.1538 war in den Phlegräischen Felder mit einer gewaltigen Explosion der Vulkan Monte Nuovo entstanden. Bis Neapel war es zu hören und auch der Ascheregen ging dort noch nieder. Die Einwohner von Pozzuoli flüchteten. Erdgeschichtlich gesehen, ist diese Gegend ein wirklich interessantes Gebiet, das wusste ich bereits aus meinen Büchern. In der Realität sieht das leider anders aus. Heute möchte ich sagen, leider war die Explosion nicht stark genug und die Bewohner sind zurückgekommen. Maurice Krafft hat in seinem Buch nichts darüber geschrieben, dass im ca. 4 qkm großen Krater der Solfatara, der an einigen Stellen noch rauchende und zischende Fumarolen und einen heißen schlammigen Schwefeltümpel hat, außerdem auch noch ein Campingplatz liegt, von dem man auf die Häuser auf dem Kraterrand schauen kann. 

Als ich später auf der Hauptstrasse Richtung Neapel fahre, ist irgendwo im Asphalt ein Riss aus dem Dampf aufsteigt und es riecht plötzlich stark nach Schwefel. Das lässt noch hoffen.

Ein weitaus größeres Abenteuer als die Vulkanbegehung ist das Radfahren auf den engen und vielbefahrenen Strassen. Die Bankette sind mit Schlaglöchern und Glasscherben übersät, ab und zu liegen tote Katzen oder umgefallenen Mülleimer im Weg. Man kann stundenlang zwischen Häusern herumfahren, was sage ich: Tage lang, ohne auch nur zu merken, dass man von einer Stadt in die nächste fährt. Es ist wie ein gewaltiges wild wachsendes Geschwür, das von Neapel ausgehend, sich todbringend über das Land frisst. Und oft riecht es auch so.

Ich bin also mit dem Fahrrad bei hochsommerlichen Temperaturen um diese Hälfte der Bucht gefahren und habe mir den Lago Averno erst von oben (direkt von der Zufahrtstraße zur  Autobahn nach Neapel) und dann von unten angesehen. Ein großer bewaldeter und erstaunlicher Weise recht wenig bebauter Krater mit einem See in der Mitte, den man mit dem Fahrrad auf einem kleinen Weg ohne Autos umrunden kann. Die etwa 200 Menschen am Beginn des Weges stören da nur wenig. 

Danach fahre ich noch zu dem bereits erwähnten Monte Nuovo, sicher der letzte in Europa entstandene Vulkan, der heute ein Park ist. Eingezäunt und, warum auch immer, von Bebauung verschont. Ich bin zu Fuß hinauf gelaufen, ca. 150 m hoch, ein Ort der Ruhe im inzwischen bewaldeten Krater, mit einem herrlichen Ausblick auf die verbaute Bucht. Die Ferne erweist sich als gnädig. 

Mein persönliches Problem tritt erst dann auf, als ich alles gesehen habe. Was soll ich noch hier? So als ob ich nur ein Programm zu absolvieren hatte, war meine Zeit hier abgelaufen. Wo waren die langen Abende, an denen ich früher schreibend und schauend einfach nur herumsaß, in Lipari, am Ätna, am Meer, in Bars, Bistros, oder auf einem Campingplatz?  Später ist mir klar geworden,  ich verhielt mich wie ein ruhelos Getriebener.

Ich beschließe noch zum Vesuv und nach Pompeji zu fahren. Durch endlose verwinkelte Strassen, zwischen schmutzigen Häuserblocks und ohne einen Hauch von Frischluft, gelange ich, durch wer weiß wie viele Ortschaften, nach Ercolano an den Hängen des Vesuvs. Man erinnere sich: Herculaneum, vor 1925 Jahren bereits zusammen mit Pompeji vom Vesuv verschüttet worden. (In kluger Voraussicht, hätte ich fast gesagt.) Überall stehen Wegweiser zum Parque National del Vesuvio, oder so ähnlich. Was hier als Nationalpark angepriesen wird, würde im Vergleich mit einer städtischen Müllkippe im Ruhrgebiet sicher schlecht abschneiden. Aber wir sind hier nicht im Ruhrgebiet!

Oben vor dem Parkplatz, bereits innerhalb der Somma, dem äußeren älteren Kraterrand des Vesuvs, stehen etwa dreißig Omnibusse in einer Schlange am Straßenrand bergab, wo früher die Lavaströme bergab flossen. Der Parkplatz selbst kostet 2,50 Euro Eintritt und etwa 1000 Menschen quälen sich die letzten zweihundert Meter zum Gipfel empor und wieder runter. Ganz oben kostet es noch mal 6,50 Euro Eintritt, für einen etwa dreihundert Meter langen und eingezäunten Weg entlang des Kraters. Zwei Andenkenbuden und ein Kiosk stehen außer dem Kassenhäuschen noch hier oben, mit Blick in den etwa 100 Meter tiefen, zugeschütteten und schweigenden Krater auf der einen und die riesige Dunstglucke über der Bucht und den Städten auf der anderen Seite.

Ob die Menschen hier wissen, dass sie auf einem der gefährlichsten Vulkane der Welt herumlaufen und gleichzeitig auf dem am dichtesten besiedelten? Die Experten sagen einen großen und verheerenden Ausbruch voraus und wenn man sich hier umschaut, kann man es sich nur wünschen. Der Berg würde all den Schmutz und all die Touristen zum Teufel fegen und vermutlich die meisten der an seinen Hängen wild wuchernden Städte auch. Ich weiß, das ist jetzt wieder „erdgeschichtlich“ gedacht. Wenn man die vollkommen verbauten, engen und verwinkelten, mit Autos und übergelaufenen Müllcontainern zugestellten Strassen kennt, dann weiß man, dass ein möglicherweise irgendwo in einer Schublade existierender Evakuierungsplan von vorneherein zum Scheitern verurteilt sein muss. Wenn es einmal so weit ist, dann wird es für die meisten Menschen hier kein Entkommen mehr geben. Und manchmal denke ich, wenn ich das wilde und laute Leben hier überall sehe, dass sie das auch wissen.

Ich hatte plötzlich keine Lust mehr auf Pompej und bin Richtung Norden gefahren. In meiner naiven Fantasie sah ich einen menschenleeren Sandstrand in Monte Argentario an der Toskana-Küste vor mir, sah lange schöne Strandspaziergänge und Radtouren auf einsamen Strassen. Nach stundenlanger Fahrt im schönsten Sonnenschein, bin ich etwa gleichzeitig mit den dunklen Wolken, die  vom Meer her sich auftürmten, in Argentario angekommen. Es ist stürmisch und so finster, dass ich fast das Licht anschalten muss, wenn ich es ohnehin nicht schon eingeschaltet  hätte, weil dies ja auf italienischen Straßen jetzt Vorschrift ist.  Vor dem Campingplatz liegt ein Müllberg, drei übergelaufene Container, die gleichen wie in Neapel, die werden wohl schon überfüllt ausgeliefert, daneben ein kaputter Fernsehapparat, Teile eines Kühlschrankes, zwei zerbrochene Stühle, ein paar Holzpaletten, ein Ölkannister, dazwischen Katzen, die einige Plastiktüten aufgerissen und den Inhalt verteilt haben. Hinter einem kaputten Zaun bellt ein aggressiver unsichtbarer Hund.

Der Campingplatz ist leer, außer den Afrikanern, die immer hier leben, sich Baracken gebaut oder ausrangierte Wohnwagen besorgt haben und im Sommer am Strand Sonnenbrillen, Feuerzeuge, Handtaschen und andere nützliche Dinge verkaufen. Ich habe mal gesagt, dass ich in der Nachsaison die Atmosphäre mag, die Übriggebliebenen, die vereinzelt und meistens etwas einsam noch auf den Campingplätzen anzutreffen sind. Hier bin ich der einzige Übriggebliebene.

Die Waschbecken sind teilweise mit Plastikfolie zugeklebt, die warmen Duschen abgestellt, Bar und Restaurant mit Brettern vernagelt. Auch ein Spaziergang zum Strand hilft mir nicht weiter. Der Sturm peitscht die Wellen auf das Ufer, die dunklen Wolken hängen tief und der Strand ist mit zurückgelassenem und angeschwemmten Müll übersät. Über der ganzen Gegend liegt eine Art von Endzeitstimmung. Die Italiener schaffen das in wenigen Tagen nach Ende der Saison. Und es hält bis zur nächsten Saison.

Der Rest meiner Tage, die Fahrt nach Cinque Terre, der wirklich nette und ganzjährlich betriebene Campingplatz Aqua Dolce und die Stadt Levanto, sind im wahrsten Sinn des Wortes getrübt vom trüben Wetter. Es hat abgekühlt, trotz Wolken mache ich noch eine Wanderung nach Monte Rosso, trinke dort am leeren Strand im Anorak ein Bier und denke nach über die Vergangenheit und die Zukunft und dann wieder über die Vergangenheit.

Und weil der Regen nicht aufhörte, bin ich dann etwas vorzeitig zurückgefahren. Ich war nicht froh, wieder zu Hause zu sein, aber ich habe die Tage auch nicht richtig genießen können. In Norwegen, wo alles so ordentlich, sauber und still war, habe ich mich nach der italienischen Hektik, dem Lärm und dem Schmutz gesehnt. Und jetzt in Italien habe ich mich nach der Stille, der Einsamkeit und der Sauberkeit Norwegens gesehnt. Ich habe kein Zuhause mehr. Selbst auf Reisen habe ich kein Zuhause mehr.

Mir ist klar geworden, dass ich mich neu orientieren muss, meine Reisen neu überdenken muss. Eine Freundin, der ich nach meiner Rückkehr davon erzählte, brachte es mit einem Satz auf den Nenner: „Vielleicht ist deine Zeit in Italien ja vorbei.“


(Fotos: bei Pozzuoli/Napoli /Links: Amalfiküste und Paestum+Strand Monte Argentario)



Vesuvio / Napoli



(Link: Gondoliere in Venedig)

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"Im Mai 2006 war ich in den Abruzzen zu einer Tour zum Gran Sasso. Hier findet man noch eine weitgehend vom Massentourismus verschonte, einsame und grandiose Landschaft, in der noch Bären, Wölfe und Adler leben können.


auf dem Weg zum Corno Grande im Gran Sasso in den Abruzzen



Auf der Rückfahrt an der Adria, irgendwo zwischen Riccione und Rimini, habe ich mir gedacht, wie furchtbar es sein muss, hier einen ganzen Urlaub zu verbringen und wie viele Menschen das dennoch tun."




"Als sie ihren Mann von der Strand-Bar zwischen Liegestühlen auf sich zukommen sieht, mit der BILD-Zeitung in der Hand, in kurzen Hosen und Sandalen, denkt sie, das ist ein Klischee. Das ist nicht wirklich wahr, so stellt man sich nur den Urlaub an der Adria vor. Und plötzlich fröstelt es sie im Schatten der Hochhäuser und sie begreift: Es ist kein Klischee, sondern es ist die Wirklichkeit - ....und sie ist mittendrin. Als er seine Liegestühle erreicht, erkennt er sie nur noch an dem Handtuch seiner Frau. Sie selbst ist weg. Und weil er vergebens wartet, macht er sich auf die Suche nach ihr. Dabei begegnen ihm Menschen und deren Geschichten, die er als Tourist nie kennen gelernt hätte."  
Eine Geschichte vom Verlieren und Finden der Freundschaft.

("Sonnenaufgang in Riccione" - in Arbeit - Foto + Links: Adria nähe Riccione)



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"... auf einmal wurde mir klar, dass dieser „Urknall“, der scheinbar der Auslöser all dieser Erinnerungen gewesen ist, eigentlich deren Ende hätte bedeuten sollen."


Drohend erhebt sich der Vesuv dicht hinter dem hellen Schein der Städte. Seine Silhouette ist ein dunkler Schatten vor dem vom Vollmond erhellten Nachthimmel. Die Lichter der Häuser ziehen sich an seinen tödlichen Hängen weit empor.
Zu seinen Füßen brodelt das Leben, immer etwas lauter als anderswo, immer etwas hektischer und immer etwas lebendiger, so als wüsste man hier mehr von der Begrenztheit der Dauer als anderswo.
Tief in seinem Innern brodelt auch etwas: die glühende Vernichtung, unsichtbar, aber allgegenwärtig spürbar und jederzeit in der Lage, der Armut und dem Reichtum, dem Glück und dem Leid, der Schönheit und all dem Müll und Dreck ein Ende zu setzen.

Ich habe ihm schon oft in seinen schweigsamen Schlund geschaut und zu seinen Füßen genächtigt. Immer im Glauben an eine Fluchtmöglichkeit, aber auch mit der Ahnung, wie es sein könnte, hier zu sterben.
Ein Tanz auf dem Vulkan, den die Menschen hier ein Leben lang tanzen, ermöglicht nur durch seine trügerische Gnade und zeitlich sehr begrenzt. Ob unsere Zeit kürzer ist als seine Geduld, wissen wir nicht, aber auf jeden Fall aber ist seine Zeitrechnung endgültiger. –

Auch diesmal bin ich auf meiner Reise nach Sizilien wieder hier in Pompeji  für eine Nacht hängen geblieben. Von der Fahrt und einigen Gläsern Rotwein ermüdet, habe ich mich bald  auf den Campingplatz zurückgezogen und bin schlafen gegangen. Irgendwann in der Nacht schreckte mich ein gewaltiger Knall aus dem Tiefschlaf. Im ersten Moment wusste ich nicht, wo ich mich befand. Es war kurz vor halb eins. Unmittelbar neben meinem Auto musste etwas explodiert sein, ich erwartete ein herabprasseln von Trümmerteilen. Statt dessen ein weiterer lauter Knall und  flackerndes Licht hinter den Vorhängen am Autofenster. Langsam kam ich zurück in die Realität, stieg aus meinem Bus und begriff, dass da ein großes Feuerwerk im Gange war und wohl direkt neben dem Campingplatz gezündet wurde. Jede der emporschießenden Raketen wurde von einem lauten Knall begleitet, mein Blick folgte ihnen in den Nachthimmel, aber genießen konnte ich es nicht. Mein Puls musste sich erst wieder beruhigen, meine Ohren konnten es nicht. Der Höhepunkt des Feuerwerkes führte schließlich zu einem unerträglichen Donner und Getöse, was mir das Anschauen der Raketen, geschweige denn deren Gefallen unmöglich machte.

Einen Tag vorher war ich mit dem Rad auf den Hügel des Klosters Monte Cassino, etwas nördlich von hier, hinaufgefahren. Im Februar 1944 wurde dieses Kloster innerhalb von drei Stunden von den alliierten Truppen vollkommen zerstört, weil sie dort deutsche Stellungen vermuteten. Über 70000 Menschen waren damals gestorben. Das musste sich ähnlich angehört haben, wie dieses Feuerwerk. Nein, ich konnte keinen Gefallen daran finden.

Nach einer halben Stunde war der ganze Spuk vorbei. Ein letzter Knall und ein paar Rauchwolken und die Nacht war wieder so still wie vorher, sofern eine Nacht in Pompeji überhaupt still sein konnte. Immerhin meldeten sich die Zikaden wieder mit ihrem Gesang. Ich kletterte in meinen Bus, aber ich kam nicht mehr zur Ruhe. Jedes mal wenn ich die Augen schloss, rechnete ich  wieder mit einem plötzlichen lauten Knall. Die Gedanken rasten durch meinen Kopf, wie das oft so ist, wenn man nachts schlaflos liegt. Fraglich ist, ob man nicht schlafen kann, wegen der Gedanken, oder ob die Gedanken kommen, weil man nicht schlafen kann. Diese Unterscheidung ist nicht so ohne weiteres möglich und wird selbst zu einem der quälenden nicht endenden Gedanken der Nacht. 

Die Erinnerung erschien mit all ihrer Gnadenlosigkeit vor meinen geschlossenen Augen. Vergangene Aufenthalte hier in Pompeji und auf diesem Campingplatz wurden wieder gegenwärtig. Ereignisse und gemeinsame Erlebnisse, mit inzwischen längst verlorenen oder verstorbenen Freunden, Freundinnen oder Lebensgefährtinnen. Damals, als wir noch für die Zukunft geplant hatten, als es noch Neues zu entdecken galt. Diese Zukunft ist inzwischen zur Vergangenheit geworden, die Menschen sind weg oder tot, nur ich reise noch immer so wie früher. Es ist manchmal gar nicht so einfach, noch die gleichen Reisen zu machen, wenn sich der Blickwinkel verändert hat. Es gibt nicht mehr so viel zu entdecken und die Erwartungen sind auch andere geworden. Neue Menschen haben nur kurz die Reiseroute gekreuzt und sind längst wieder anderswo. Nur ich bin immer noch da.

Während ich so da lag,  tauchten Gesichter vor meinen geschlossenen Augen auf, die ich längst vergessen hatte. Menschen, von denen ich schon lange nicht mehr  wusste, wo, wie und ob sie noch lebten, mit denen ich aber zumindest kurzfristig mal etwas Gemeinsames hatte. Eigene Ziele, erreichte oder  verworfene, ergriffene Chancen und verpasste Gelegenheiten gingen mir durch den Kopf.  Man sagt oft, dass im Falle großer Gefahr das ganze Leben in Sekunden an einem vorüber zieht. Das stimmt nicht. Es dauert viele Stunden.

Ich fing an meine zahllosen Italienreisen zu sortieren, wann und mit wem, später auch warum. Früher war das nie die Frage. Ich verglich Italien mit Skandinavien und begriff den Unterschied. Italien war Vergangenheit, Skandinavien die Gegenwart. Ich suchte nach der Begeisterung und fragte mich, ob ich sie nicht auf einer der zahllosen Reisen verloren hatte. Ich habe einmal gelesen, dass man früher immer gereist wäre, um irgendwo hinzukommen. Spätestens seit Goethes „Italienischer Reise“ würde man reisen, um irgendwo wegzukommen. Das würde auch erklären, warum es mit dem ankommen so schwer war.

Ich lag viele Stunden wach, wälzte mich von einer Seite auf die andere, blickte immer wieder auf die Uhr, konnte aber einfach nicht einschlafen. Es war so, als hätte dieser Knall, der mich aus dem Tiefschlaf gerissen hatte, mich in meinem tiefsten Innern erschüttert. Ähnlich wird es wohl sein, wenn der Vesuv wieder erwacht und sein verschütteter Krater aufgerissen wird und glühende Lava nach oben schießt. Es wird sicher auch einen gewaltiger Knall geben und es wird Zerstörung über Land und Leute kommen. Aber nach jedem Vulkanausbruch entsteht auch wieder neues Leben.

 
Am nächsten Abend, den ich bereits an den Hängen des Ätnas verbrachte, wurde mir auf einmal klar, dass dieser „Urknall“ von Pompeji, der scheinbar der Auslöser all dieser Erinnerungen gewesen ist, eigentlich deren Ende hätte bedeuten sollen.

In dieser Nacht kam ich dann auch wieder zur Ruhe.

 

 
(Nicolosi, Etna - Oktober 2007)                  (Fotos + Link: Pompeji/Antica)

(Foto + Link Sonnenaufgang: Monte Argentario)



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"Es ist gar nicht so einfach, etwas richtig zu beenden und etwas wirklich Neues anzufangen."


Es ist der erste Tag des neuen Jahres. Ein unbeschriebenes Blatt. Wenige Stunden ist es erst her, dass du Vorsätze gefasst hast, oder auch nicht. Du wolltest vielleicht netter zu deinem Nachbarn sein, das Rauchen aufhören oder dein ganzes Leben verändern. Und nun stehst du hier am Ufer dieses großen Sees und das neue Jahr ist schon fast 17 Stunden alt.

Du beobachtest die wenigen Menschen, die auf der Uferpromenade flanieren, setzt dich auf eine alte Mauer und hältst dein Gesicht in die tiefstehende Sonne. Sie wärmt noch etwas, nach diesem sonnigen Tag, an dem es dich hinausgetrieben hat, um Alkohol und Zigarettenrauch der vergangenen Nacht von deinem Körper zu vertreiben. Vielleicht bist du auch einfach ein paar Kilometer gefahren, um vor dem Nebel der Emilia Romagna in die Berge zu entfliehen. Die Luft ist klar und es tut gut tief durchzuatmen.

Die letzten zwei Stunden bist du am Ufer dieses wunderschönen Sees entlang geschlendert, vorbei an geschlossenen Hotels und verwaisten Campingplätzen. Im Winter ist es ruhig hier und die Schönheit ist sich selbst genug. Niemand weiß, dass du hier bist, niemand will etwas von dir. In Momenten wie diesem wird dir manchmal schmerzlich klar, dass an Sylvester ja nicht nur ein neues Jahr beginnt, sondern auch ein altes zu Ende geht. Ein Teil deiner Zeit und deines Lebens. Dir war es schon immer wichtiger, dich vom alten Jahr zu verabschieden, in der Hoffnung, etwas gelernt zu haben, als das neue Jahr mit Partys, Raketen und Böllern zu begrüßen. Und oft wolltest du etwas vom alten Jahr mit hinüber retten in das neue Jahr und warst dann enttäuscht, wenn es nicht gelungen ist. Und genau so oft wolltest du im alten Jahr etwas zurücklassen und warst dann überrascht, wenn es im neuen Jahr plötzlich und unerwartet wieder aufgetaucht ist. Es ist gar nicht so einfach, etwas richtig zu beenden und etwas wirklich Neues anzufangen. Wir täuschen und belügen uns da gar zu oft gerne selbst.

Früher hast du dir immer vorgestellt, das neue Jahr wäre wie eine Bühne, und du würdest über eine große Treppe herunter kommen und unten würde ein Prinz auf dich warten und alle Leute im Saal würden klatschen. Aber deine Jahresanfänge waren immer weit weniger spektakulär gewesen und meistens unterschied sich das neue Jahr noch nicht einmal vom alten. Aber die Suche nach dieser Treppe hast du nie aufgegeben. Und ewig würden der Prinz da unten und die Leute im Saal ja auch nicht warten.

Und jetzt ist dieses neue Jahr ganz ohne Starbesetzung in die Produktion gegangen. Die Rollen sind vergeben, es liegt an dir, mehr als nur ein Statist zu sein. Noch hast du Zeit dafür, dir einen Platz zu suchen.

In der Stille bist du zu Hause. Dort fühlst du dich geborgen und sicher. Die Stille ist ein Ort, den die meisten Menschen gar nicht kennen. Er wird also nie überlaufen sein. Dort ist es leichter, die „Spreu vom Weizen“ zu trennen, dort gibt es nur Weizen. Das, was wir für Stille halten, ist meistens doch nur das Fehlen von Lärm. Erich Fried hat mal geschrieben: „Die Stille ist das was übrig bleibt von den Schreien.“ 

Du liebst dieses späte Sonnenlicht. Die Hitze im Überfluss des Hochsommers ist dir schon immer suspekt gewesen und ihre Selbstverständlichkeit unheimlich. Aber die zarte und seltene Wärme der Wintersonne hat dir schon oft Kraft gegeben und manchmal auch über die Kälte einer zweifelhaften Gemeinsamkeit hinweggeholfen.

Ein zufällig vorbeikommender Spaziergänger, der offen für die Schönheit der Landschaft und der Menschen und empfänglich für Stimmungen ist, wird zwangsläufig dich zum Mittelpunkt seines Blickes und seiner Gedanken machen. Und vielleicht wird es ihm gut tun, dich so glücklich und zufrieden dort stehen zu sehen, all das Wichtige in sich vereinend. Vielleicht wird er auch etwas von der Wärme der tiefstehenden Sonne und von deiner Schönheit in sich aufnehmen können. Und wenn es einer wie ich ist, dann wird er vielleicht auch ein paar Zeilen darüber schreiben.

Inzwischen bist du weiter gegangen, die Sonne ist tiefer gesunken, der Abend näher gekommen. Die Nacht wird kalt werden und es wird auch schwierig werden, noch ein warmes Quartier zu finden. Die Wärme in mir wird möglicherweise nicht bis zum Morgen reichen. 

Und du bist weiter unterwegs auf der Suche nach deiner Treppe, nach dem Prinzen, der unten auf dich wartet und dem Applaus, der dir gilt, bevor der Vorhang fällt. Und alles Schlechte wird in der Tiefe des Sees versinken. 

Die Sonne ist untergegangen und am Himmel kreuzen sich die Kondensstreifen zweier Flugzeuge im späten Licht. Das lässt mich hoffen, für das neue Jahr.


(Cassone, Lago di Garda - 1.1.08)

                                                (alle Fotos und Links: Lago di Garda) 



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Wenn ich von Roma nach Levanto fahre, wähle ich meistens die Strecke entlang der Küste auf der SS1 „Via Aurelia“. Dort wo Umbrien endet und die Toscana beginnt, liegt Monte Argentario. Eine Insel, die drei schmale Verbindungen mit dem Festland hat. Die südliche ist nur bewaldet und hat einen viele Kilometer langen einsamen Sandstrand. An der mittleren liegt die Stadt Orbetello. Hier führt nur eine Straße über den schmalen Damm, wo früher eine Eisenbahnstrecke nach Porto San Stefano verlief. Über den nördlichen, recht breiten, Damm verläuft ebenfalls eine Straße. Hier gibt es einige Hotels und Campingplätze. 
Die Insel besteht aus dem 635 m hohen Berg, der ihr den Namen gegeben hat und den beiden schönen Städten Porto Ercole und Porto San Stefano, letztere mit einem großen Hafen und Fährverbindungen zur Insel Giglio.

Mein Quartier habe ich meistens in Feniglia, auf einem kleinen Campingplatz nahe des einsamen Strandes. Und jedes Mal wenn ich in Monte Argentario bin und mein Rad dabei habe, ist es Tradition, dass ich die Insel umrunde. Die Tour ist etwa 40 Km lang, führt zunächst auf der Straße und teilweise auf der ehemaligen Eisenbahnstrecke auch durch Tunnels, nach Porto San Stefano. Weiter geht es dann auf der Panoramastraße hoch über dem Meer und mit einer fantastischen Aussicht. Hier liegen prächtige Häuser am Hang, teilweise nur als Ferienhäuser genutzt. Die recht hügelige Straße wird dann immer schlechter und einsamer und endet schließlich als schmaler Schotterweg, der bei Regen für PKW kaum passierbar ist. Das letzte Stück nach Porto Ercole ist dann wieder eine asphaltierte Straße. 

Auch dieses mal hatte ich wieder vor, die Argentario-Runde zu fahren. Auf dem Campingplatz hatte man mir von dem Verrückten Deutschen erzählt, der seit einem halben Jahr in einem alten Wohnmobil am Ende der Straße wohnen sollte. Er beobachte dort ein Haus, in welchem seine Tochter im Frühjahr verschwunden und nicht wieder aufgetaucht sei. Die Polizei habe nichts unternommen, zum einen, weil das Haus seit fast einem Jahr nicht mehr bewohnt gewesen sein soll und zum anderen, weil die Tochter bereits 32 Jahre alt war. Außerdem sei die Tochter nie auf der Insel gesehen worden und es sei fraglich, ob sie überhaupt existierte.

Ich war recht neugierig, als ich mich auf den Weg machte. Das Wetter war gut und es versprach eine schöne Radtour zu werden. Nachdem ich die Straße und die Stadt hinter mir hatte, wurde die Strecke immer ruhiger und gebirgiger. Die meisten Ferienhäuser waren jetzt im Herbst unbewohnt. Ich passierte die Verbotsschilder für Busse und Wohnmobile, die Straße wurde enger, die Schlaglöcher größer und die Gegend immer einsamer. Dort wo der Asphalt in Schotter überging, sah ich auf einem kleinen Seitenweg das Wohnmobil stehen. Ein alter Ford Transit, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, mit einem Münchner Kennzeichen. Gegenüber, wo der mit viel Gestrüpp bewachsene Hang hinunter zum Meer führte, war ein geschlossenes hölzernes Tor.

Ich lehnte mein Fahrrad dagegen und schaute mir das Schloss an. Es hatte Rost angesetzt und Spinnengewebe hingen am Griff. Es schien tatsächlich schon lange nicht mehr geöffnet worden zu sein. Dann betrachtete ich das Wohnmobil. Die Tür war geschlossen, die Fenster mit Vorhängen verhangen. Ich klopfte und rief: „Jemand zu Hause?“ „Was willst du?“ antwortete hinter mir ein Mann, der gerade aus dem Gebüsch oberhalb des Weges kam. Er hatte einen Bart und lange Haare, trug abgewetzte Jeans und ein kariertes Hemd. Ich fragte ihn, was er hier mache. Er sah mich misstrauisch an, öffnete das Wohnmobil und holte zwei Klappstühle heraus, die er am Wegrand aufstellte. Er verschwand in dem Fahrzeug und kam mit zwei Bierflaschen und Zigaretten wieder heraus. Eine Flasche warf er mir zu. Wir setzten uns und er zündete sich eine Zigarette an. Dann erzählte er mir die Geschichte, die ich teilweise ja schon kannte. Seine Tochter, die in der Toscana Urlaub gemacht habe, sei von einem Mann in dieses Haus (dabei deutete er auf das Tor gegenüber, denn ein Haus konnte man nicht sehen) eingeladen worden. Das habe sie ihm am Telefon erzählt und dann habe er nichts mehr von ihr gehört. Er sei dann hier her gefahren und habe nach Spuren gesucht. Er sei auch schon über das Tor geklettert, aber auch bei dem Haus, welches verschlossen war, habe er nichts finden können. Jetzt warte er, bis jemand hier auftauche und das Tor sich öffne. Er sei sich sicher, dass jemand drinnen sei, sich aber wohl nicht heraus trauen würde.

Ich war jetzt neugierig und schlug vor, mir das Haus auch einmal anzusehen. Er nickte nur. Ich kletterte über mein Fahrrad auf das Tor und konnte es so leicht überwinden. Dahinter war ein Weg, der in ein paar Serpentinen hinunter zu einem Haus führte. Fenster und Türen waren geschlossen. Ich betrachtete das Türschloss. Es sah sauber aus. Über eine Treppe konnte ich auf die Terrasse gehen. Die hölzernen Flügeltüren waren mit Vorhängeschlössern gesichert. Auch sie waren sauber und schienen frisch geölt. Nein, diese Türen waren noch nicht so lange geschlossen, wie das Tor oben am Weg. Hier war erst vor Kurzem jemand ein und aus gegangen. Unterhalb der Terrasse führte ein Weg hinunter zum Meer. Dort befand sich ein Bootssteg und mir war klar, wie die Besucher rein und raus gekommen waren. Da konnte der Wiener da oben das Tor lange bewachen. Aber was hatte es mit der verschwundenen Tochter auf sich? Gab es die wirklich?

Noch während ich darüber nachdachte, hörte ich den Motor eines Bootes. Es fuhr so nahe an der Küste entlang, dass es von oben nicht gesehen werden konnte. Ich versteckte mich hinter einigen Büschen. Eine kleine Motorjacht legte an dem Steg an und ein Mann in Jeans und T-Shirt vertaute das Boot.  Zwei Männer in Anzügen, mit Krawatte, Hut und Aktenkoffer in den Händen kletterten aus dem Boot und gingen auf dem Weg nach oben zum Haus. Der dritte Mann blieb beim Boot zurück, setzte sich auf die Treppe am Steg und steckte sich eine Zigarette an. Wie sollte ich an ihm vorbei kommen? Der Zufall half mir, denn als der Mann zum Pinkeln hinter ein paar Büschen verschwand, konnte ich ungesehen mein Versteck verlassen und nach oben laufen.  Vorsichtig näherte ich mich der Terrasse. Eine der beiden Flügeltüren stand offen, von drinnen hörte ich Stimmen. Sie sprachen Englisch, aber ich konnte nicht verstehen, worum es ging. Plötzlich kamen die Männer aus dem Haus und ich ging unter der Treppe in Deckung. Beide hatten noch ihre Hüte auf, aber nur noch einer hatte einen Aktenkoffer in der Hand. Sie gingen hinunter zum Boot. Die Flügeltür auf der Terrasse stand noch offen und ich beeilte mich, ins Haus zu kommen. Es herrschte Halbdunkel, weil die Fensterläden noch geschlossen waren und roch etwas muffig. Auf dem Tisch stand der zweite Aktenkoffer und ich klappte den Deckel hoch. Er war voller gebündelter Euroscheine. 

Ich erschrak zunächst, klappte den Koffer dann schnell wieder zu, schnappte ihn am Griff und verließ das Zimmer. Auf der Terrasse sah ich einen der Männer gerade die Treppe empor kommen. Wir erschraken beide und während er eine Pistole aus dem Schulterhalfter riss, sprang ich mit dem Koffer über das Geländer der Terrasse. Das dornige Gebüsch schlug über mir zusammen und ich rollte einen Abhang hinunter. Ein paar Kugeln pfiffen hinter mir her, verfehlten mich aber weit. Der Mann rief etwas und eine zweite Stimme antwortete ihm. Ich kroch weiter den Hang hinunter, mein Gesicht und meine Hände waren von den Dornen zerkratzt, mein Radlertrikot etwas zerrissen, aber den Koffer ließ ich nicht los. Ich kletterte über ein paar Felsen und sah jetzt unter mir das Boot liegen. Die beiden Männer in den Anzügen schienen sich zu streiten. Ich verstand nur so viel, dass der mit dem Koffer möglichst schnell mit dem Boot weg wollte. Der andere fluchte und deutete den Hügel hinauf. Er schien mich suchen zu wollen, was ja auch verständlich war, denn ich hatte den Koffer mit dem Geld. Der dritte Mann mit den Jeans stand gelangweilt dabei und schaute nur von einem zum anderen. Der mit dem Koffer kletterte in das Boot und brüllte den Jeansmann an, er solle losfahren. Der Mann am Ufer richtete seine Pistole auf den im Boot und drückte ab. Samt Koffer fiel dieser über die Reling ins Wasser. Der Schütze gab dem Jeansmann ein Zeichen und der fischte den Koffer aus dem Wasser. Dann zerrte er den Toten ebenfalls zurück ins Boot. Danach machten sich die beiden auf dem Weg zum Haus. Sie suchten mich. Ich hangelte mich über die Felsen und versuchte mich möglichst weit von dem Haus zu entfernen. Dabei kletterte ich langsam den Hang empor. Irgendwann musste ich so auf den Weg kommen, den ich eigentlich mit dem Rad fahren wollte.

Als ich weit genug von dem Haus entfernt war, versteckte ich den Koffer in einer kleinen Felsenhöhle. Von den beiden Verfolgern hatte ich nichts mehr gehört und gesehen. Schließlich erreichte ich den Weg und ging langsam zurück Richtung Wohnmobil. Immer auf der Hut, denn die beiden konnten inzwischen ja auch dort aufgetaucht sein. Schließlich sah ich von weitem das verschlossene Holztor, an welchem mein Fahrrad lehnte. Aber das Wohnmobil war verschwunden, ebenso die Stühle, wo wir vor einer Stunde noch gesessen hatten und die Bierflaschen, die auf dem Boden gestanden hatten. Noch nicht mal eine Zigarettenkippe lag auf dem Boden. Es gab keine frischen Reifenspuren und die Spinnenweben hingen noch immer am verrosteten Türgriff.

Ich schüttelte den Kopf, sprang auf mein Rad und fuhr schnell davon. Der Schotterweg stieg jetzt steil an und ich schaute zurück. Es folgte mir niemand. Der Weg erreichte eine Kuppe und dort stand in einem Seitenweg ein Wohnmobil und ein langhaariger Mann saß in einem Stuhl, rauchte und trank Bier. Im gegenüber war ein geschlossenes Tor, das er zu beobachten schien. Das musste der verrückte Typ sein, von dem mir die Leute in Feniglia auf dem Campingplatz erzählt hatten. Da ich von der langen Steigung ziemlich erschöpft war, hielt ich mein Rad bei ihm an und fragte, was er hier mache. Erst sah er mich misstrauisch an, dann erzählte er mir die Geschichte von seiner Tochter, die ich ja schon kannte. Hinter diesem Tor sei sie verschwunden, sagte er und deutete auf das Tor gegenüber.

Ich nickte. Dann stieg ich auf mein Rad und fuhr weiter. Endlich ging es bergab.


(Dies ist nur der Beginn einer "never-ending-story". Wenn ich mich müde und erschöpft bei warmen Temperaturen mit dem Rad endlose Kilometer bergauf quäle, dann führen die Gedanken ein Eigenleben und schweifen immer wieder ab, auch hinter irgend welche Mauern und Türen. - Die Geschichte geht eigentlich so weiter, dass hinter jeder Kurve der langhaarige Mann mit seinem Wohnmobil steht und ich jedesmal ein Abenteuer hinter verschlossenen Türen erlebe. Immer wieder die gleiche Geschichte.
Diese hier ist nur der Anfang.....)


Monte Argentario, Oktober 2009                       

                                                    (alle Fotos und Links: Monte Argentario)



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In der kleinen Pizzeria, direkt an der Piazza, es ist die beste Pizzeria in Levanto, war um diese abendlich frühe Uhrzeit noch Platz. Ich hatte den kleinen Tisch in der Ecke in Beschlag genommen, alleine Essen zu gehen ist in Italien manchmal ein Spießroutenlauf. Die meisten Tische sind gedeckt für vier bis sechs Personen, da traut man sich alleine kaum hinzusetzen. Und wenn man es doch tut, dann spricht das Gesicht des Kellners Bände, wenn er die drei unbenutzten Gedecke wieder abräumen muss. Nicht so in dieser Pizzeria. 

Nichts war vorgedeckt, die kleinen Tische waren auch für Einzelpersonen vorgesehen. Von früheren Besuchen wusste ich, dass die Pizza hier sehr gut war. Einmal hatte ich gleich zwei hintereinander gegessen. Ich saß auf der Terrasse, trank Rotwein und beobachtete das Treiben auf der Piazza, während ich auf die Pizza wartete. Es waren nur wenige Leute auf der Terrasse und es herrschte eine beschauliche abendliche Stille.

Das änderte sich schlagartig, als eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern, einem Bub und einem Mädchen, die Terrasse betrat. Heute war Pizzaessen angesagt, die Kinder schienen sich zu freuen, lärmten, Stühle wurden gerückt, hier fiel eine Jacke zu Boden, ein zerknülltes Papiertaschentuch flog auf den Tisch, die Speisekarte wurde herumgeworfen. Die Kinder schwätzten laut, die Mutter noch lauter, aber nicht unfreundlich. Es war eine hübsche schlanke Frau, nicht im Sinne der Schönheiten von den Titelseiten der Illustrierten, sondern sie strahlte eine Schönheit aus, wie man sie manchmal bei einer zweifachen Mutter in der Alltagsarbeit finden kann. Mitten aus dem Leben, die engen Jeans etwas abgewetzt, das Unterhemd schaute unter dem T-shirt hervor, die langen Locken leicht zerzaust, so als ob sie mal schnell mit dem Rad zum Supermarkt gefahren wäre. Scheinbar achtlos mit sich selbst, aber immer einen Blick auf den Kindern. Die drei hatten so einen lockeren Umgang miteinander, dass es Spaß machte, ihnen zuzuschauen.

Ab und zu grüßte sie Leute, die auf der Straße vorbeigingen, rief ihnen laut etwas zu, eine Frau blieb stehen und scherzte mit den Kindern, sie schien viele Menschen hier zu kennen und von vielen gekannt zu werden. Ganz ohne Zweifel stammte sie aus Levanto. Und die Lautstärke, mit der sie mit den Leuten redete und mit der die Kinder herumtollten, schien sie nicht zu stören. Während sie mit ihrem Handy herumhantierte, schaute die Tochter interessiert zu und sie schien ihr etwas zu erklären. Der Sohn probierte inzwischen, bei welcher Schräglage der Coladose die ersten Tropfen auf den Tisch fielen. 

Sie verbreiteten ein ganz alltägliches Leben in dieser Pizzeria, eine junge italienische Familie, bei einem kleinen Vergnügen, nicht nur für die Kinder. Als die Pizzas serviert wurden, für die Kinder je eine halbe, machten sie sich alle drei darüber her. Sie aßen mit den Händen, Mutter wie Kinder, der Tisch war bald außer mit den Colaflecken auch mit Krümeln übersät. Sie lachten, tranken Cola aus der Dose und ich konnte mir gut vorstellen, wie es bei denen zu Hause wohl aussah. Überall lagen wahrscheinlich die Sachen der Kinder herum und die Mutter nahm es vermutlich auch nicht so genau mit Ordnung und Sauberkeit. Diese wurden ersetzt durch eine Herzlichkeit, von der die Kinder später sicher mehr haben würden. Alle drei strahlten so eine Zufriedenheit aus, so eine Lockerheit und so ein kleines Glück, dass ich mich für sie freute und sie darum beneidete. Ob es auch einen Vater dazu geben mochte, daran dachte ich nicht.

Ich schaute immer wieder zu den dreien hin und manchmal kreuzten sich meine Blicke mit denen der Frau. Sie schien zu spüren, dass sie beobachtet wurde, ließ sich aber in ihrer Unbefangenheit und dem lockeren Umgang mit den Kindern nicht beeinflussen. Während des Essens spielte die Frau wieder an ihrem Handy herum, zeigte den Kindern etwas und stopfte sich ein Stück Pizza mit der Hand in den Mund, genau wie die Kinder, nur nicht mit so vielen Krümeln im Gesicht. Plötzlich lief das kleine Mädchen weg, über die Straße auf die Piazza, scheinbar hatte es dort jemand gesehen. Die Mutter gleich hinterher. Eine Weile saß der Bub noch alleine da, dann rannte auch er davon. Zurück blieb der Tisch, chaotisch zugerichtet, vermutlich genauso wie der Küchentisch bei den dreien zu Hause. Irgendwann kamen sie laut schwätzend wieder zurück, das Mädchen an der Hand der Mutter, und setzten Ihre Pizzamahlzeit, die längst kalt geworden sein musste, fort.

Die anderen Gäste in dem Lokal, das sich inzwischen gefüllt hatte, schienen sie nicht zu stören. Sie verkörperten für mich etwas von Freiheit und Zusammengehörigkeit, vielleicht der Inbegriff von Familie, wie ich sie mir vorstellen konnte, aber noch nie erlebt hatte. Und ganz nebenbei bemerkt, hatte die junge Frau mit ihrer schnodderigen Art, ihrer burschikosen Zärtlichkeit zu den Kindern und ihrem etwas vernachlässigten Äußeren für mich eine sehr erotische Ausstrahlung. Ihr Körper unter der lässigen Kleidung, ihre leicht gekrümmte Nase, der Fleck auf der linken Wange, die zerzausten Haare und ihre freundlichen wachen Augen, machten sie menschlich und einzigartig. Wie sollte man das nennen? Die Erotik des Alltages? Die Faszination der Frau von Nebenan? Die Schönheit des Aschenputtels? 

Ich hätte noch Stunden lang hier sitzen bleiben können und den dreien zuschauen, aber ich war mit Essen fertig und musste entweder noch was bestellen oder zahlen. Die Frau putzte dem kleinen Mädchen gerade die Nase und wieder trafen sich unsere Blicke, als sie herschaute. Für einen Augenblick, im wahrsten Sinn des Wortes. Vielleicht auch einen Augenblick zu lang oder zu neugierig. Ich lächelte ihr zu und die Kellnerin kam mit der Rechnung.

Als ich die Terrasse verließ betrachtete ich den verschmutzten Tisch, die zappelnden Kinder und die Frau, die gerade ihrem Sohn eine Jacke überzerrte. Noch einmal kreuzten sich unsere Blicke, dann wurde sie von Ihrer Tochter abgelenkt, die an ihren Haaren zog, und ich war draußen. Ich steckte mir ein Zigarillo an und schlenderte langsam über die Piazza, auf der das abendliche italienische lärmende Leben voll im Gange war.

Später sah ich die Frau auf einer Bank am Spielplatz sitzen, wo die Kinder in der Menge anderer Kinder verschwunden waren. Sie rauchte und unterhielt sich mit einem Mann, der bei ihr saß. Ein kurzer Blick, als ich vorbei ging, ein flüchtiges wieder Erkennen: Das war doch der Typ, der in der Pizzeria neben uns saß und der immer so geschaut hat.
Ich musste lächeln, als ich langsam weiter ging. So hatte hier halt jeder seine Rolle.


(Levanto, 18.5.2010)

                                               (alle Fotos und Links: Levanto/Liguria)



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Während meiner letzten Italienreise ist in den Abruzzen eine seltsame Geschichte entstanden, deren Titel nicht meine Erfindung ist, sondern er wurde mir sozusagen im Schlaf eingegeben.














"Die Schönheit liegt nicht in den Dingen. Sie liegt in den Augen, die sie betrachten." 
                                          (Francisco Coloane)                       

Gibt es das überhaupt? Eine Frau fürs ganze Leben? Oder auch einen Mann?
Ich bin mir sicher, dass es das gibt. Und zwar für jeden und jede. Das Problem ist nur, dass viele nicht zusammenfinden. Manche sind ein Leben lang verheiratet, ohne die Frau oder den Mann fürs Leben je getroffen zu haben. Manche begegnen ihr oder ihm nur ein einziges mal, ohne zu erkennen, wer es ist. 

Ich weiß, dass ich die Frau fürs Leben getroffen habe. Und ich hatte sogar das große Glück, ein paar Jahre gemeinsam mit ihr leben zu können. Was will man mehr? Der Anspruch, dass die Frau fürs Leben auch das ganze Leben bei einem bleibt, ist wohl übertrieben. Es heißt nur, dass sie es sein könnte, aber nicht sein muss. Es gibt tausend Gründe, die das in den meisten Fällen verhindern. Es gilt hier zu trennen, zwischen dem was ist und dem was sein könnte!

Und Beispiele gibt es genug:

So z.B. war Sonny Bono der Mann fürs Leben für Cher,
oder Serge Gainsbourg für Jane Birkin

und Richard Burton für Elizabeth Taylor, oder
Gudrun Ensslin war die Frau fürs Leben für Andreas Baader,

und Matilde Urrutia für Pablo Neruda und Loki für Helmut Schmidt.

                    Und vielleicht auch Joan Baez für Bob Dylan.

Ganz egal, wie lange sie miteinander gelebt haben.









(Musik-Link zu youtube: Diamonds and Rust)

(Um diese Geschichte aus den Abruzzen vom Juni 2011 zu schreiben bin ich im September noch einmal hingefahren.
Leider wurde die wunderschöne Gegend in den letzten Jahren und jetzt gerade wieder aktuell von schweren Erdbeben erschüttert, die viele Opfer gefordert und Städte zerstört haben. Hinzu kommt jetzt im Januar 2017 noch dieses gewaltige Schneechaos. Ich bin in Gedanken bei der dortigen Bevölkerung.
Irgendwie ist auch meine Geschichte "verschüttet" und deshalb nicht geschrieben worden.
Vielleicht entsteht sie zu einem späteren Zeitpunkt noch.)
 


                                      Musik-Links: Bono & Gainsbourg zu youtube.

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bei Tropea / Kalabrien
(Link: Monte Argentario/Toscana)


"Ich habe es satt, satt zu sein. Ich möchte wieder hungern."

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(sämtliche Texte und Fotos: cop. by h. lederer, - 
Collage garda-treppe2 mit Ausschnitt von C. Elefteros,
Fotos Sonny & Cher, Baader & Ensslin, Gainsbourg & Birkin
und Baez & Dylan aus dem Internet)

 
     
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